Die Notwendigkeit der Enteisung eines Flugzeugs vor dem Start ist jedenfalls an Flughäfen und in Zeiträumen, in denen mit winterlichen Temperaturen zu rechnen ist, kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat die Flugreisende das Endziel in Düsseldorf mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden erreicht. Dies steht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einer Annullierung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO gleich[1].
Entgegen der Auffassung des in der Berufungsinstanz mit dem vorliegenden Fall befassten Landgerichts Düsseldorf[2] begründet in einem solchen Fall die Notwendigkeit der Enteisung im Streitfall keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.
Als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Vorkommnisse anzusehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist von Fall zu Fall zu beurteilen[3].
Entgegen der Auffassung des Landgerichts Düsseldorf reicht es für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands danach nicht aus, dass ein Problem aufgetreten ist, welches nicht nur ein einzelnes Flugzeug betroffen hat.
Zu Recht ist das Landgericht Düsseldorf allerdings davon ausgegangen, dass außergewöhnliche Umstände auch im Hinblick auf solche Vorgänge vorliegen können, die grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens gehören, etwa das Betanken des Flugzeugs oder die Verladung von Gepäck, wenn dabei ein Problem auftritt, das auf außergewöhnlichen Umständen beruht, wie etwa auf einem allgemeinen Ausfall des Versorgungssystems oder einem allgemeinen Mangel an Personal, das vom Betreiber des Flughafens verwaltet wird[4].
Entgegen der Auffassung des Landgerichts Düsseldorf reicht es für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands in solchen Fällen jedoch nicht aus, dass eine Vielzahl von Flugzeugen von dem in Rede stehenden Problem betroffen ist. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass es sich um ein tatsächlich nicht beherrschbares externes Ereignis handelt. Unter diesen Begriff fallen Ereignisse, die vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flugoder den Flughafenbetrieb eingreifen[5].
Bei Anlegung dieses Maßstabs beruht die Verspätung im Streitfall nicht auf einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.
Wie auch das Landgericht Düsseldorf im Ansatz nicht verkannt hat, gehört die Enteisung eines Flugzeugs bei winterlichen Temperaturen grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens.
Die Enteisung eines Flugzeugs vor dem Start dient der Gewährleistung eines technisch einwandfreien und betriebssicheren Zustands des Flugzeugs[6]. Ein solcher Vorgang ist jedenfalls an Flughäfen und in Zeiträumen, in denen mit winterlichen Temperaturen zu rechnen ist, nicht außergewöhnlich.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts Düsseldorf stellen Verzögerungen bei der Enteisung nicht schon dann einen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn eine Vielzahl von Flugzeugen davon betroffen ist und das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss auf den Enteisungsvorgang hat.
Wie das Landgericht Düsseldorf in anderem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat, kommt eine Einordnung als externes Ereignis im oben genannten Sinne allerdings auch bei Vorgängen in Betracht, die häufig auftreten[7]. Als Naturereignis oder als Handlung eines Dritten, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreift, können solche Vorgänge aber nur dann angesehen werden, wenn sie – ungeachtet der Häufigkeit, mit der sie auftreten können – einen Umstand bilden, der außerhalb dessen liegt, was als normale Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens anzusehen ist. Winterliche Flugbedingungen sind danach jedenfalls an Flughäfen und in Zeiträumen, in denen mit solchen Bedingungen typischerweise zu rechnen ist, nicht als Naturereignis anzusehen.
Im hier entschiedenen Streitfall hat das Landgericht Düsseldorf festgestellt, dass ein Flugzeug, das im Dezember von Minneapolis aus startet, nicht immer enteist werden muss. Die Notwendigkeit einer Enteisung hängt vielmehr vom jeweiligen Wetter und von der Entscheidung des Piloten ab.
Daraus ergibt sich, dass die Notwendigkeit einer Enteisung unter den für den Streitfall maßgeblichen Umständen einen Umstand darstellt, mit dem typischerweise zu rechnen war. Folglich liegt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO vor.
Mithin beruhte die im Streitfall eingetretene große Ankunftsverspätung nicht auf einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. August 2024 – X ZR 146/23
- vgl. nur EuGH, Urteil vom 26.02.2013 – C-11/11, NJW 2013, 1291 = RRa 2013, 78 Rn. 47 – Folkerts[↩]
- LG Düsseldorf, Urteil vom 20.10.2023 – 22 S 2/23[↩]
- vgl. nur EuGH, Urteil vom 23.03.2021 – C-28/20, NJW-RR 2021, 560 Rn. 23 – Airhelp; Urteil vom 07.07.2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn.20 – SATA International – Azores Airlines[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.07.2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 22 f. – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16.05.2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 23 f. – Touristic Aviation Services Ltd[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.07.2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 25 – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16.05.2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 25 – Touristic Aviation Services Ltd[↩]
- Bezirksgericht für Handelssachen (BGHS) Wien, Urteil vom 12.10.2015 – 16 C 194/15v-12, BeckRS 2016, 81341 Rn. 28; Schmid (Anm.), RRa 2011, 241, 244; Führich, RRa 2012, 166, 169; Marti, Fluggastrechte gemäss der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, 2016, 212[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.07.2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 25 – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16.05.2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 25 – Touristic Aviation Services Ltd; BGH, Urteil vom 24.09.2013 – X ZR 160/12, NJW 2014, 861 Rn. 16[↩]