Die stornierte Kreuzfahrt – und der ebenfalls abgesagte Rückflug

Der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO ist nicht erfüllt, wenn ein trotz Annullierung einer Pauschalreise vorgesehener Flug annulliert worden ist.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nehmen die klagenden Reisenden die beklagte Fluggesellschaft auf Ausgleichsleistungen nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Die beiden Reisenden buchten bei Aida Cruises eine Kreuzfahrt, die vom 22.12.2021 bis 8.01.2022 stattfinden sollte. Im Reisepreis inbegriffen war der Rückflug von Las Palmas (Gran Canaria) mit einem anderen Luftfahrtunternehmen. Am 2.01.2022 teilte Aida Cruises mit, das Schiff werde wegen einer Covid-19-Erkrankung zahlreicher Besatzungsmitglieder nicht auslaufen; aus dem Bereich Hannover stammende Passagiere würden am Folgetag von der Fluggesellschaft von Lissabon nach Hannover zurückbefördert. Die beklagte Fluggesellschaft führte die Rückflüge aufgrund eines Chartervertrags mit Aida Cruises aus. Der Rückflug, für den die Reisenden ursprünglich eingeteilt waren, fand nicht statt. Die Reisenden kamen mit einem Ersatzflug in Hannover mit einer Verspätung von mehr als 24 Stunden an. 

Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Hannover hat die auf Ausgleichszahlung in Höhe von 400 € pro Person nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie auf Ersatz von Taxikosten in Höhe von 19, 75 € gerichtete Klage abgewiesen[1]. Auf die Berufung der Reisenden hat das Landgericht Hannover die Fluggesellschaft antragsgemäß verurteilt[2]. Mit ihrer vom Landgericht Hannover zugelassenen Revision hat die Fluggesellschaft zunächst die vollständige Abweisung der Klage begehrt. Kurz vor der mündlichen Verhandlung hat sie das Rechtsmittel hinsichtlich der Verurteilung zur Erstattung der Taxikosten zurückgenommen. Die verbliebene Revision der Fluggesellschaft hat der Bundesgerichtshof als unbegründet zurückgewiesen:

Das Landgericht Hannover hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b FluggastrechteVO bejaht.

Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht Hannover davon ausgegangen, dass die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO normierten Voraussetzungen für die Anwendung der Verordnung erfüllt sind.

Das Landgericht Hannover hat sich in den Gründen seiner Entscheidung allerdings nicht ausdrücklich mit der Frage befasst, ob eine bestätigte Buchung vorlag. Angesichts der unangegriffenen tatbestandlichen Feststellung, dass die Reisenden mit einem bestimmten, anhand von Datum, Uhrzeit und Flugnummer bezeichneten Flug befördert werden sollten, waren diesbezügliche Ausführungen indes auch nicht erforderlich. Die Fluggesellschaft hat vorliegend die Erteilung einer bestätigten Buchung in den Vorinstanzen nicht in Zweifel gezogen. Bei dieser Ausgangslage war die Reisendenin nicht gehalten, näher zum Inhalt der Buchungsbestätigung vorzutragen, und das Landgericht Hannover brauchte hierzu keine weitergehenden Feststellungen zu treffen. 

Zu Recht hat das Landgericht Hannover entschieden, dass die Anwendung der Verordnung nicht nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO ausgeschlossen ist.

Nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO gilt die Verordnung nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird.

Dieser Ausnahmetatbestand ist im Streitfall nicht erfüllt.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen der Abbruch einer bereits begonnenen Pauschalreise aufgrund eines Rücktritts oder einer einvernehmlichen Vertragsbeendigung als Annullierung im Sinne von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO anzusehen ist. Unabhängig davon, ob im Streitfall eine Annullierung der Pauschalreise vorliegt, ist der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Klageansprüche nicht darauf gestützt werden, dass die Annullierung der Reise zugleich zur Annullierung des Fluges geführt hat, sondern darauf, dass ein trotz Annullierung der Reise vorgesehener Flug annulliert worden ist.

Der Wortlaut von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO könnte allerdings dahin verstanden werden, dass eine Anwendung der Fluggastrechteverordnung stets ausscheidet, wenn eine Pauschalreise annulliert wird, ohne dass die Annullierung eines Fluges hierfür ausschlaggebend war. 

Dieses Verständnis widerspräche jedoch der Systematik der Vorschrift.

3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO regelt den Fall, dass nicht nur ein Flug annulliert wird, sondern eine Pauschalreise, die diesen Flug als vertraglich geschuldete Leistung umfasst. In diesem Fall ist die Verordnung nur dann anwendbar, wenn die Annullierung des Fluges den Grund für die Annullierung der Reise insgesamt bildet. Nicht anwendbar ist die Verordnung hingegen, wenn die auf anderen Gründen beruhende Annullierung der Reise zugleich die Annullierung des Fluges zur Folge hat. 

Wie das Landgericht Hannover zutreffend ausgeführt hat, werden damit die Verantwortungsbereiche des Reiseveranstalters und des ausführenden Luftfahrtunternehmens voneinander abgegrenzt. Das ausführende Luftfahrtunternehmen ist nur dann Ansprüchen aus der Fluggastrechteverordnung ausgesetzt, wenn die in seinen Verantwortungsbereich fallende Annullierung des Fluges zugleich den Grund für die Annullierung der Reise bildet.

Für eine diesbezügliche Differenzierung ist kein Raum, wenn ein gebuchter Flug trotz Annullierung des Reisevertrags stattfinden soll und dieser Flug aus anderen Gründen annulliert wird oder mit Verspätung ankommt. 

Auch in dieser Konstellation fällt die Annullierung des Reisevertrags zwar typischerweise in den Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters. Sie steht aber nicht in Zusammenhang mit dem trotz der Stornierung vorgesehenen Flug und der dabei aufgetretenen Annullierung oder Verspätung. Folglich ist in solchen Fällen die Fluggastrechteverordnung anwendbar.

Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den Zielen und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.

Die im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Regelung, nach der die Verordnung ohne Einschränkungen auch für Fluggäste gelten sollte, deren Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist, wurde vom Europäischen Parlament abgelehnt, weil solche Fluggäste schon aufgrund der Haftung des Reiseunternehmens für die ordnungsgemäße Erfüllung des Pauschalreisevertrags einschließlich des Fluges ein angemessenes Maß an Schutz genössen. Die Kommission hielt diesen Schutz nicht für gleichwertig, weil Pauschalreisende keine unmittelbaren Rechte gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen haben. Der Rat der Europäischen Union entschied sich für einen Mittelweg[3].

Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, den Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO auf Konstellationen zu beschränken, in denen die Annullierung einer Pauschalreise zugleich den Grund für die Annullierung eines Fluges bildet. In diesem Fall liegen die Ursachen für die Annullierung allein in der Sphäre des Reiseveranstalters. Soll hingegen ungeachtet der Annullierung der Reise ein Flug durchgeführt werden, bei dem es zu einer Annullierung oder Verspätung kommt, liegt eine Konstellation vor, in der ein Pauschalreisender des in der Verordnung vorgesehenen Schutzes grundsätzlich in gleicher Weise bedarf wie jeder andere Fluggast. 

Diese Differenzierung entspricht der Systematik der Verordnung, die Pauschalreisende nur punktuell aus ihrem Anwendungsbereich ausnimmt und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach Ausnahmeregelungen, die den Schutz der Fluggäste einschränken, grundsätzlich eng auszulegen sind[4]

Entgegen der Auffassung der Revision schließt Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO Konstellationen, in denen wegen eines Notfalls kurzfristig eine Beförderungsmöglichkeit geschaffen werden muss, nicht generell aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus.

3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO knüpft an den oben dargelegten Ursachenzusammenhang zwischen der Annullierung einer Pauschalreise und der Annullierung eines Fluges an. Die Vorschrift differenziert hierbei nicht danach, aus welchem Grund die Pauschalreise annulliert worden ist. Deshalb kann sie nicht als Ausnahmeregelung für Notfälle interpretiert werden.

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht Hannover entschieden, dass keine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO vorgelegen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei einem Flug, der als Teil einer Pauschalreise gebucht wurde, für die Beurteilung, ob eine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO gegeben ist, auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen als Leistungsträger abzustellen[5]

In diesem Verhältnis ist die Rückbeförderung nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts Hannover im Streitfall entgeltlich erfolgt. 

Ob darüber hinaus erforderlich ist, dass der Flug auch im Verhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden entgeltlich ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.

Wie das Landgericht Hannover zu Recht ausgeführt hat, ist im Streitfall auch diese Voraussetzung erfüllt, weil der Rückflug von Lissabon zu den Leistungen gehört, die die Reisenden durch die Zahlung des Reisepreises „erkauft“ haben. 

Hierfür ist unerheblich, dass der Rückflug von Lissabon nicht Teil des ursprünglichen Reiseprogramms war. Ausschlaggebend ist, dass die Rückbeförderung zu den vom Reiseveranstalter aufgrund des Reisevertrags geschuldeten Leistungen gehört hat. 

Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht Hannover entschieden, dass die Beförderung nicht aufgrund eines für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren reduzierten Tarifs im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO erfolgt ist.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob, wie das Landgericht Hannover angenommen hat, für die Anwendung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO generell kein Raum ist, wenn der Flug für den Fluggast zu den Leistungen gehört, die er aufgrund eines entgeltlichen Pauschalreisevertrags beanspruchen kann, und ob ein für die Öffentlichkeit verfügbarer Tarif vorliegt.

Das von der Revision angeführte Vorbringen der Fluggesellschaft vermag den Tatbestand von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO unabhängig von diesen Fragen jedenfalls deshalb nicht auszufüllen, weil sich daraus keine Reduzierung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO ergibt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein reduzierter Tarif vor, wenn ein Entgelt vereinbart ist, das geringer ist als das üblicherweise geforderte Entgelt[6].

Dem Umstand, dass die Fluggesellschaft im Streitfall vom Reiseveranstalter ursprünglich einen höheren Preis gefordert hat, kann nicht entnommen werden, dass jener Preis dem üblicherweise geforderten Entgelt entspricht. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass der im Streitfall individuell ausgehandelte Preis geringer ist als der übliche Preis, ergeben sich aus dem von der Revision aufgezeigten Vorbringen der Fluggesellschaft nicht. 

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht geboten. An der oben dargelegten Auslegung von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO besteht für den Bundesgerichthof angesichts der aufgezeigten Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift kein vernünftiger Zweifel. Wie der Bundesgerichtshof bereits in den zitierten Entscheidungen dargelegt hat, ist die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 FluggastrechteVO durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hinreichend geklärt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Juni 2024 – X ZR 162/23

  1. AG Hannover, Urteil vom 09.02.2023 – 463 C 3768/22[]
  2. LG Hannover, Urteil vom 24.11.2023 – 5 S 11/23[]
  3. EuGH, Schlussantrag des Generalanwalts vom 28.03.2019 – C-163/18, BeckRS 2019, 5191 Rn. 43; Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 18.03.2003, ABl. EU C 125 E/63[]
  4. vgl. nur EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-549/07, RRa 2009, 35 Rn. 17 – Wallentin-Hermann[]
  5. BGH, Urteil vom 17.03.2015 – X ZR 35/14, NJW-RR 2015, 823 = RRa 2015, 182 Rn. 14[]
  6. BGH, Urteil vom 21.09.2021 – X ZR 79/20, BGHZ 231, 137 = NJW 2021, 3659 = RRa 2021, 279 Rn. 14[]