Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel-Ia-VO begründet einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag. Bei einem Vertrag, der einen Hinflug zu einem bestimmten Endziel und einen Rückflug zu einem vom ersten Abflugort verschiedenen Ankunftsort vorsieht, ist deshalb an allen drei Orten der Gerichtsstand des Erfüllungsorts für alle nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen begründet.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall buchte der Lebensgefährte der Mutter des Klägers über ein Reiseunternehmen bei der Beklagten für sich, seine Lebensgefährtin und den Kläger Flüge von Frankfurt über London nach Boston und von New York über London nach Wien. Der Flug von New York nach London fand statt. Der Weiterflug nach Wien konnte nicht wie vorgesehen starten. Der Kläger und seine Begleiter entschieden sich für eine Umbuchung auf einen Flug nach Frankfurt am Main am nächsten Tag. Der Kläger begehrt aus eigenem und abgetretenem Recht für alle drei Reisende Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 FluggastrechteVO, Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Frankfurt am Main hat die Klage wegen fehlender internationaler und örtlicher Zuständigkeit abgewiesen[1]). Die dagegen eingelegte Berufung ist vor dem Landgericht Frankfurt am Main erfolglos geblieben[2]. Auf die vom Landgericht im Berufungsurteil zugelassene Revision des Klägers hob der Bundesgerichtshof die Frankfurter Urteile auf und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht Frankfurt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist das Amtsgericht Frankfurt am Main unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsorts international zuständig:
Nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. a Brüssel-Ia-VO können Ansprüche aus einem Vertrag an dem Ort geltend gemacht werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Nach Buchst. b Gedankenstrich 2 dieser Regelung ist der Erfüllungsort einer Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Leistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen.
Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO ist ein Anspruch aus einem Vertrag über eine Dienstleistung im Sinne dieser Vorschriften[3].
Im Streitfall ist Frankfurt am Main als Erfüllungsort für alle Ansprüche aus dem Vertrag anzusehen, weil an diesem Ort der Hinflug begonnen hat.
Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel-Ia-VO begründet einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag.
Grundsätzlich soll nur ein Gericht für alle Klagen aus dem Vertrag zuständig sein[4].
Maßgeblich ist grundsätzlich der Ort, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht. Gibt es mehrere Orte, die eine gleich enge Verknüpfung aufweisen, so stehen dem Kläger alle diese Orte zur Auswahl[5]. Bei einem Vertrag über eine Luftbeförderung gehören zu diesen Orten jedenfalls der Abflug- und der Ankunftsort[6]. Dies gilt bei Flügen, die mehrere Teilstrecken umfassen, jedenfalls für den Abflugort der ersten und den Ankunftsort der letzten Teilstrecke, und zwar selbst dann, wenn die Beförderung auf den einzelnen Teilstrecken von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird[7].
Im Streitfall hat sich die beklagte Fluggesellschaft nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in dem Vertrag, auf den die Klage gestützt ist, sowohl zur Beförderung von Frankfurt nach Boston als auch zur Beförderung von New York nach Wien verpflichtet.
Nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind deshalb alle drei Orte als Erfüllungsort anzusehen, und zwar für alle aus dem Vertrag abgeleiteten Ansprüche.
Dem steht nicht entgegen, dass ein Flug im Sinne der Fluggastrechteverordnung grundsätzlich nur die Teilstrecken zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel umfasst[8]. Dieser Grundsatz hat zwar zur Folge, dass die Frage, ob ein Ausgleichsanspruch besteht, für Hin- und Rückflug gesondert zu beurteilen ist. Entsprechendes dürfte auch dann gelten, wenn der Abflugort der ersten und der Ankunftsort der letzten vom Vertrag umfassten Teilstrecke nicht identisch sind, aufgrund eines Richtungswechsels oder sonstiger Umstände aber dennoch erkennbar ist, dass der Ankunftsort der letzten Teilstrecke nicht das Endziel im Sinne der Fluggastrechteverordnung ist. Im Zusammenhang mit Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel-Ia-VO kommt dem aber keine Bedeutung zu, weil diese Vorschrift einen einheitlichen Erfüllungsort für alle vertraglichen Pflichten vorsieht.
Nach allem hat der Bundesgerichtshof die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache emäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO an das Amtsgericht zurückverwiesen, weil dieses bislang nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden hat und es angemessen erscheint, dass auch die Begründetheit zunächst in erster Instanz beurteilt wird. Den gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Verweisungsantrag hat der Kläger ausweislich des angefochtenen Urteils gestellt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Mai 2020 – X ZR 10/19
- AG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.02.2018 – 31 C 1993/17 (39[↩]
- LG Frankfurt am Main, Urteil vom 07.01.2019 – 2-24 S 85/18[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.03.2018 – C-274/16 u.a., RRa 2018, 173 Rn. 64 – flightright; BGH, Urteil vom 25.09.2018 – X ZR 76/16, NJW-RR 2018, 1448 Rn. 8[↩]
- EuGH, Urteil vom 09.07.2009 – C-204/08, RRa 2009, 234 Rn. 34 Rehder; BGH, Urteil vom 02.03.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806 Rn. 14 ff.[↩]
- EuGH, Urteil vom 09.07.2009 – C-204/08, RRa 2009, 234 Rn. 35 – Rehder[↩]
- EuGH, Urteil vom 09.07.2009 – C-204/08, RRa 2009, 234 Rn. 41 – Rehder[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.03.2018 – C-274/16 u.a., RRa 2018, 173 Rn. 71 ff. – flightright[↩]
- zu letzterem EuGH, Urteil vom 26.02.2013 – C‐11/11, RRa 2013, 78 Rn. 34 f. – Folkerts; Urteil vom 07.09.2017 – C-559/16, RRa 2017, 229 Rn. 24 ff. – Bossen; Urteil vom 31.05.2018 C‐537/17, RRa 2018, 179 Rn. 18 – Wegener[↩]
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